Der Theodolit

74 Seiten, illustriert
170 gr
15,5 cm × 15,5 cm

Luiz Pacheco

„Meine Kindheit, wenn ihr mir diese formelle Erklärung gestatten wollt, ist irgendwie seltsam, zweideutig. Fast ohne es zu merken, kehre ich in sie zurück oder lasse sie hinter mir, manchmal merke ich es gar nicht […]“

In einer großbürgerlichen und geräumigen Lissabonner Wohnung verbergen/offenbaren sich Erinnerungen hinter den vielzähligen Türen des langen Flurs; hier wurde geboren, gestorben, getrauert, gebetet und gespielt. Zu Hochzeiten verwandelte man Abstellkammern in Kapellen und bei Krankheit Wohnzimmer in Operationssäle. Hier lebe ich.
Doppeldeutigkeiten vergrößern die Welt, verschlossene Truhen werden aufgebrochen, die Gegenwart liegt neben der Vergangenheit, sie liegen aufeinander, untereinander, tummeln sich. Gegenwart und Vergangenheit spotten, Kommas werden aufgehoben und manchmal fängt ein Satz ganz klein an.

Eine weitere Dimension des Bewusstseins entsteht, einen Rhythmus zu spüren, sich seine eigene Zeit zu schaffen-

 

1925 wurde Luiz Pacheco, Schriftsteller, entrüsteter Literaturkritiker, Übersetzer, Verleger, in seinem Elternhaus in dem Bezirk Estefânia geboren. Seine Familie gehörte zur Lissabonner Mittelschicht, die eher den Künsten als dem Materiellen zugeneigt war und über eine gut ausgestattete Bibliothek verfügte, die Pacheco, der stark kurzsichtig war, von klein auf nutzte.
Pacheco wurde wegen ausgezeichneter Prüfungsergebnisse von den Studiengebühren befreit, schloss das Studium der romanischen Philologie jedoch nicht ab.

Mit seinem 1950 gegründeten Verlag Contraponto, schuf er einen Raum für Literatur und Ungehorsam in Portugal. Die Publikationen dieses über fast 50 Jahre währenden Verlags werden heute in Auktionen hoch gehandelt.

Als Pacheco sich dazu entschloss, nur noch vom Schreiben zu leben, fiel er in kolossale Armut. Er ertrug die Konsequenzen, doch seine 8 Kinder litten extrem darunter. Pacheco machte die christliche Moral einer Gesellschaft, die er als heuchlerisch, kastrierend und nepotistisch empfand, für die Misere eines freien und libertinen Geistes verantwortlich. Er kämpfte für die Freiheit eines jeden einzelnen, sich dem widmen zu dürfen, was ihn drängt. Dabei strebte er Wahrhaftigkeit sich selbst und anderen gegenüber an. Mit seinem Werk wollte er die Zäune zwischen Literatur und Alltag niederzureißen.

Im Jahr 2008 starb Luiz Pacheco in einem Krankenwagen auf dem Weg zur Notaufnahme.

In seinem Nachlass befinden sich veröffentlichte und unveröffentlichte Briefe, Tagebücher und Kurzgeschichten, von denen die meisten einen stark autobiografischen Charakter haben. Seinem langjährigen Plan, einen Roman herauszugeben, konnte Pacheco nicht gerecht werden, da es ihm dazu stets an innerer Ruhe fehlte.

 

"CEFALOTÓRAX"